Ist Yoga Sport?

oder ein Mittel zum Zweck?

Yoga ist ein Sport, bei dem vor allem das Dehnen im Vordergrund steht.
So würde sehr wahrscheinlich jemand auf die Frage “Was ist Yoga?” antworten, der noch nie oder nur ganz am Rande Yoga kennen gelernt hat. Man kann ihm kaum einen Vorwurf machen, denn tatsächlich wird in unserer westlichen Welt dieses Bild von Yoga durch Werbung und Social Media vermittelt. Und so verwundert es auch kaum, dass Yogastudios in Hamburgs Corona-Verordnung in einem Atemzug mit Fitnessstudios genannt werden oder das Buchungsportal “Eversports” Yoga als “äußerst gesunde Sportart” beschreibt. 

Denn Yoga ist hierzulande vor allem das Üben von “Asana”. Ein guter Yogi zeichnet sich in den Köpfen der meisten dadurch aus, dass er einen Handstand steht oder sein Bein hinter den Kopf legen kann. Historisch betrachtet absolut nachvollziehbar, denn immerhin waren es Asanas und vor allem Hatha Yoga, die in den letzten 100 Jahren Stück für Stück in den Westen geschwappt sind. Angezogen zunächst von der New-Age-Welle der 60er, war es in den 80ern der Fitness-Trend, der Yoga nach Amerika und Europa brachte. Bunte Leggins, Gymnastik und Aerobic-Musik — wie herrlich passte da die ein oder andere Verrenkung dazu. 

Hatha Yoga: Fokus auf körperliche Übungen

Auf den ersten Blick scheint Hatha Yoga auch genau das zu sein: ein Yogastil, bei dem vor allem die körperlichen Übungen im Vordergrund stehen. Ein zweiter Blick führt in die Hatha Yoga Pradipika, eine Schrift aus dem 14. Jahrhundert. Tatsächlich befasst sich ein Großteil des Buches mit körperlichen Übungen: “Asanas”, körperliche Reinigungsrituale und Atemübungen. Erst im letzten Kapitel widmet sich die Hatha Yoga Pradipika dem “Samadhi”, der Versenkung, die durch Meditation erreicht wird. Die Schwerpunktsetzung auf den Körper soll allerdings nicht bedeuten, dass dies wichtiger ist. Es ist vielmehr eine Frage der Reihenfolge:

Hatha Yoga beginnt mit der Reinigung des Körpers, gefolgt von Asanas und Atemübungen. Damit wird ein anderer Ansatz gewählt, als es der achtgliedrige Weg des Yogasutras (“Raja Yoga”) beschreibt, bei dem die Verhaltensregeln “Yamas” und “Niyamas” an erster Stelle stehen. Raja Yoga sagt: Kontrolliere deinen Geist und dann reinige deinen Körper. Hatha Yoga sagt: Yamas und Niyamas können erst dann geübt werden, wenn der Geist stabil geworden ist und seine nach außen gerichtete Aufmerksamkeit kontrolliert werden kann. 

„Denn für Yamas und Niyamas, Disziplin und Selbstbeherrschung, ist eine bestimmte Qualität des Geistes erforderlich. Wenn allerdings keine Balance in der Person geschaffen wird, dann werden Selbstkontrolle und Selbstdisziplin eher zu Konflikten als zu einem ruhigen Geist führen.“

(Swami Muktibodhananda, “Hatha Yoga Pradipika”)

Der Affe im Kopf

Hatha Yoga begegnet mit dieser Reihenfolge dem häufigsten Problem der meisten Übenden: das berühmte Äffchen im Kopf. Das Ziel von Yoga ist “Gedankenlosigkeit”, also Freiheit von umherschweifenden Gedanken. Doch, wie es Swami in seiner Interpretation der alten Schrift auf den Punkt bringt, haben nur wenige Menschen Kontrolle über ihren Geist. 

“Auf der gegenwärtigen Evolutionsstufe des Menschen ist der Geist schwach. Aber irgendwo müssen wir ja anfangen, also ist es besser, sich nicht mit den geistigen Aktivitäten zu beschäftigen; mach einfach deine Übungen und lass den Geist tun, was er will. Wenn du nicht versuchst, den Geist ständig zu blockieren und zu unterdrücken, wird er automatisch gehorsam und konzentriert werden.”

Die Hatha Yoga Pradipika sagt damit allerdings nicht, dass man Erleuchtung durch reine Körperübungen erfahren wird. Sie ist vielmehr als Vorübung für das eigentliche Yoga (Raja Yoga) zu verstehen. Ziel der Asanas ist daher lediglich die Vorbereitung des Körpers auf die Meditation, also dafür zu üben, möglichst lange im Meditationssitz sitzen zu können. 

Ziel des Hatha Yoga ist daher die Erfahrung des Yoga für Jedermann zugänglich zu machen und begegnet damit dem Problem, dass die meisten von uns nicht einfach stundenlang in Versenkung sitzen können und mal so eben los meditieren. Dem einen fällt das leichter, der andere hat auch noch nach Jahren des Übens sein Äffchen im Kopf. 

Yoga als Mittel zum Zweck

Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass die Asanas nicht das eigentliche Ziel sind. Wir sollten aufhören, die “100 wichtigsten Übungen für ein erfülltes Leben” anzupreisen und uns an Vorher-Nachher-Fotoreihen zur Tänzerpose oder Handstand aufzuhängen. Yoga ist mehr als Sport. Es beinhaltet Meditation, Philosophie und Spiritualität. 

“Die Praxis des Yoga von ihrem ursprünglichen kulturellen, spirituellen und philosophischen Kontext zu trennen ist, als ob man den Motor aus einem Düsenflugzeug ausbaut und dann erwartet, dass es fliegt.”

(Sharon Gannon/David Life) 

Letztendlich geht es beim Yoga — egal ob Hatha, Ashtanga, Kundalini oder eine der vielen neuen Stile — darum, einen Weg zu sich selbst zu finden. In Balance mit sich und der Welt zu leben und nicht bloß auf Händen oder einem Bein balancieren zu können. 

“Wir nutzen nicht den Körper um in eine Haltung zu kommen. Wir nutzen die Haltung, um in den Körper zu kommen.”

(Quelle unbekannt)

by Kate – Dezember 2020

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