Ist Yoga eine Religion?

Eine Frage der Verbindlichkeit

24. Dezember 2020. Heute feiern wir Weihnachten, eines der wichtigsten Feste des Christentums.  Ich mag Weihnachten — das Zusammenkommen mit der Familie, das Zur-Ruhe-Kommen und Besinnen. Als religiösen Menschen sehe ich mich allerdings überhaupt nicht. Ich bin nicht (mehr) in der Kirche und meine einzigen Kirchgänge in den letzten Jahren waren anlässlich von Hochzeiten, Beerdigungen oder Reisen. Und während Weihnachtsklassiker den zimtgeschwängerten Raum erfüllen, frage ich mich: “Wieso sträube ich mich eigentlich innerlich so gegen Religion?” und “Ist Yoga überhaupt so weit entfernt davon?”

Wieso sträube ich mich so gegen Religion?

Die erste Frage ist relativ einfach zu beantworten: Ich habe überhaupt nichts gegen Religion per se, sondern vielmehr gegen das System und die Institution Kirche. Wobei “dagegen haben” es auch nicht so recht trifft. Ich kann mich schlichtweg nicht damit identifizieren. Das liegt zum einen daran, dass ich mich schwer damit tue, an einen allmächtigen Gott zu glauben. Zum anderen empfinde ich viele Ansichten der Kirche als überholt und nicht mehr zeitgemäß, wobei das nicht nur für die christliche Kirche gilt. Ob Homosexualität, die Rolle der Frau, soziale Strukturen oder Kastensystem: mit Gleichberechtigung tun sich die Weltreligionen allesamt ziemlich schwer und scheinen aus ihren historisch geprägten Traditionen und Regeln nur sehr allmählich herauszukommen. 

Und trotzdem habe ich mich auf den Yogaweg begeben. Ein Weg, der sich auf den zweiten Blick, nachdem man erkennt, dass es um mehr als nur Gymnastik und Atmen geht, erstmal gar nicht so sehr von Religionen zu unterscheiden scheint. Immerhin ist in den meisten Yoga Schriften von Gott oder Göttlichkeit die Rede, es gibt Traditionen und Regeln in den “Yamas” und “Niyamas” und mit “Satsang” sogar ein Zusammenkommen einer Gemeinschaft. 

Könnte man Yoga also nicht auch als Religion bezeichnen? 

Sharon Gannon und David Life, die Gründer von Jivamukti Yoga, schreiben hierzu: 

“Yoga ist keine Religion; er ist eine Schule praktischer Philosophie. Yoga-Praktiken stehen jedoch in einem unauflösbaren Zusammenhang mit der Entwicklung des Hinduismus.”

Liest sich erstmal nach einer klaren Antwort. Allerdings schreiben die beiden wenig später auch: 

“Die Yoga-Philosophie sagt: Du selbst bist die direkte Verbindung zu Gott. Im Jivamukti erweitern wir diese Idee sogar noch. Wir versuchen die Trennung zwischen den Religionen zu verringern, indem wir nach ihren essentiellen Gemeinsamkeiten Ausschau halten.”

Wenn wir mit Yoga allerdings die essentiellen Gemeinsamkeiten verschiedener Religionen verbinden — macht das Yoga nicht selbst zu einer Religion? 

Eine juristische Betrachtung

Ich beschließe dem auf den Grund zu gehen und gehe ganz juristisch an die Lösung des Problems: Obersatz (Ist Yoga eine Religion?), Definition (Was zeichnet eine Religion aus?), Subsumtion (Liegen diese Voraussetzungen bei Yoga vor?) und Ergebnis. 

Für Gerichte setzt Religion einen Glauben voraus, der eine umfassende, ganzheitliche und zugleich in besonderem Maße verbindliche Sicht der Welt und des Lebens beinhaltet und auf dieser Grundlage dem Leben einen besonderen Sinn vermittelt.

Schließlich verlangt Religion Transzendenz; sie muss von der Vorstellung der Existenz einer überweltlichen, aber nicht unbedingt göttlichen Macht geprägt sein. 

Yoga ist mehr als reine Körperübung — es wirkt auf Körper, Geist und Seele und erfasst auch die Einstellung zum Leben. Man kann Yoga daher sicherlich als umfassende und ganzheitliche Sicht der Welt anerkennen. Auch die Vorstellung einer überweltlichen Macht findet man im Yoga. Es gibt zwar keinen Glauben an einen allmächtigen Gott im Sinne des Christentums oder des Islams, aber zumindest die Vorstellung von etwas Höherem, dem Göttlichen, das in jedem steckt. 

Es geht um die Verbindlichkeit

Die Definition enthält allerdings auch noch das Wort “verbindlich” und da liegt wohl der Casus Knacksus: Unter Religion wird nämlich

„die den Menschen verpflichtende Inanspruchnahme durch die ihn bedingende Macht über- und außermenschlichen Seins“

verstanden. Für das Bestehen einer Religion muss deshalb ein Bekenntnis und Vorgaben für die Lebensweise vorhanden sein.

Das gibt es bei Yoga aber gerade nicht: es gibt keinen Gottesdienst, den man besuchen muss und kein verpflichtendes Glaubensbekenntnis um Teil einer Yoga-Gemeinschaft sein zu dürfen. Genau genommen geht es bei Yoga nämlich gerade nicht um glauben, sondern um erfahren und erkennen. Yoga ist in diesem Punkt genauer betrachtet das Gegenteil zur Religion: es wird kein Glaube an etwas Höheres vorausgesetzt, sondern es bietet Techniken an, das Höhere selbst zu erkennen und am eigenen Leibe zu erfahren. 

Während Religionsgemeinschaften ihre Propheten zitieren, die das Göttliche erkannt haben, will Yoga uns helfen, das Göttliche selbst zu erfahren. Osho bringt es auf den Punkt:

Yoga fordert nicht auf, an Irgendetwas zu glauben, Yoga sagt: Erfahre! So wie die Wissenschaft das Experiment fordert, fordert Yoga die Erfahrung. Experiment bedeutet, dass du etwas im Äußeren tust, Erfahrung bedeutet, dass du etwas im Inneren tust. Erfahrung ist ein inneres Experiment, kein Glaube ist nötig, nur der Mut, Erfahrungen zu machen. Yoga ist kein Glaube. Es ist ein Eindringen in die eigene Existenz.

Damit unterscheidet sich Yoga in genau dem Punkt, der mich an Religionen stört: der Zwang, an etwas glauben zu müssen, das institutionalisierte System, dem man folgen muss um dazu zu gehören. Yoga ist demgegenüber ein Angebot, das jeder so viel oder wenig für sich nutzen kann, wie er möchte. Du kannst an etwas Höheres glauben oder es so lange in Frage stellen, bis du es tatsächlich selbst erfahren hast. Du kannst dich auf die Spiritualität einlassen oder Yoga als Lebensphilosophie für dich annehmen. 

Um es mit den Worten des kölner “Boarderlines”-Autors Andreas Brendt zu sagen: 

Wir können alles tun, und auch noch was wir wollen.

by Kate – Dezember 2020

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